Stichlinge – klein, außergewöhnlich und wehrhaft

Stichlinge – kein anderer Name könnte für diese kleinen Fische zutreffender sein. Das bekommt jeder zu spüren, der diese kleinen Fische ungeschickt aus dem Netz nimmt und dabei von ihren Stacheln empfindlich gestochen wird. Die Stacheln sind bewegliche, umgewandelte Flossenstrahlen, die die zusätzliche oder ausschließliche Funktion von Verteidigungswaffen übernommen haben. Sie stehen auf dem Rücken einzeln hintereinander und bilden, je nach Art, eine Reihe von wenigstens drei bis höchstens 15 Stacheln. Auch die vorderen Strahlen der Bauchflossen sind zu harten Stacheln umgebildet. Ebenso wie die Stacheln auf dem Rücken können sie in besondere Scharniere einrasten und so zur Verteidigung, ohne weitere Muskelkraft, aufgerichtet getragen werden.
So ist es nicht verwunderlich, dass Stichlinge von Raubfischen meist verschmäht werden. Sollte es doch ein Räuber auf die kleinen Fische abgesehen haben, bekommt es ihm möglicherweise schlecht. Wenn der Stichling, welcher zur Beute werden soll, rechtzeitig seine Stacheln ausklappt und einrastet, bleibt er häufig im Maul des Räubers stecken. Die Stacheln fügen dabei Schmerzen und Verletzungen zu und somit wird der Stichling umgehend wieder ausgespuckt. Nicht selten kommt es aber auch vor, dass sich der Stichling so stark im Maul verhakt, dass er sich nicht mehr entfernen lässt und sowohl Räuber als auch Opfer daran verenden.

In unseren heimischen Binnengewässern kommen zwei Stichlingsarten vor, der Dreistachlige Stichling (Gasterosteus aculeatus) und der Neunstachlige Stichling (Pungitius pungitius). Eine dritte Art, der Seestichling (Spinachia spinachia), ist in seinem Vorkommen an einen geringen Salzgehalt im Wasser gebunden und daher im Brackwasser der Ostsee, nicht aber in den Binnengewässern, zu finden.

Stichlinge gehören zu den kleinsten heimischen Süßwasserfischen. Vor allem der Neunstachlige Stichling ist mit drei bis sieben Zentimetern Gesamtlänge ein ausgesprochener Winzling. Obwohl Stichlinge, auf Grund ihrer geringen Größe, als Speisefische keinerlei Bedeutung haben, sind sie in der Bevölkerung recht gut bekannt. Ihre weite Verbreitung, der spezielle Körperbau und nicht zuletzt das besondere Fortpflanzungsverhalten tragen dazu bei. Der Dreistachlige Stichling wurde und wird in nahezu jedem Biologieunterricht früher oder später erwähnt. Als Aquarienfische sind Stichlinge, auf Grund der geringen Größe und ihrer Besonderheiten, sehr beliebt.

Der Dreistachlige Stichling kommt, mit Ausnahme des Donaudeltas, in ganz Europa, Nordasien und Nordamerika vor. Er ist sehr häufig auch im Brackwasser der Ostsee und in Flussmündungen zu finden. Der Neunstachlige Stichling lebt in den kleineren Binnengewässern, wie Gräben und Tümpeln, ist aber auch häufig im Brackwasser der Ostsee anzutreffen. Insgesamt ist die Art nicht so stark verbreitet, wie der Dreistachlige Stichling.

Ein typisches Stichlingsmerkmal ist das Fehlen von echten Schuppen. Die Körperoberfläche ist daher größtenteils nackt oder mehr oder weniger vollständig mit Knochenplatten bedeckt. Beim Dreistachligen Stichling werden je nach Anzahl der Knochenplatten drei Formen unterschieden:
1. Form trachurus mit Knochenplatten längs der Seitenlinie.
2. Form leiurus mit Knochenplatten nur an den Seiten der Brust.
3. Form semiarmatus als Kreuzungsprodukt aus der 1. und 2. Form mit Knochenplatten an der Rumpfseite und am Schwanzstiel.

Weiterhin unterscheidet man eine marine Wanderform von einer stationären Süßwasserform. Die wandernden Schwärme bestehen aus Fischen aller drei Beschilderungsformen. Sie ziehen im Frühjahr aus den Küstengewässern ins Süßwasser, um dort von März bis Juli zu laichen. Eltern und Jungfische verlassen im Laufe des Sommers die Binnengewässer wieder. Sie haben, im Gegensatz zur stationären Süßwasserform, einen Silberglanz. Die nur aus leiurus- Fischen in isolierten Binnengewässern lebenden Populationen sind grau bis olivgrün gefärbt.

Interessant und außergewöhnlich ist das Fortpflanzungsverhalten der Stichlinge. Zu Beginn der Laichzeit grenzen die Männchen Brutreviere ab, die sie gegen Eindringlinge verteidigen. Wurzeln, Steine und Pflanzen dienen dabei als Markierungspunkte zur Revierabgrenzung. Das Männchen des Dreistachligen Stichlings trägt nun ein prächtiges Hochzeitskleid mit blaugrünem Rücken, roter Kehle und funkelnder silberblauer Iris. Das Männchen des Neunstachligen Stichlings ist zu dieser Zeit am Bauch tief schwarz gefärbt. Schließlich beginnt das Männchen ein Nest aus Pflanzenfasern und Algenfäden zu bauen. Während Dreistachlige Stichlinge dieses Nest am Gewässerboden bauen, hängen Neunstachlige Stichlinge ihr Nest frei schwebend in Pflanzen. Zunächst wird das Baumaterial an einer geeigneten Stelle angehäuft und dann mit Nierensekret verklebt. Danach formt das Männchen mit dem Kopf einen Eingang sowie eine Höhlung in das Nestmaterial. Hierauf lockt es mit ruckartigen Bewegungen, dem so genannten Zick-Zack-Tanz, ein laichreifes Weibchen ins Nest. Nach der Eiablage des Weibchens erfolgt die Besamung der Eier. Häufig erfolgt ein mehrfaches Ablaichen, in einem stündlichen Rhythmus, auch mit anderen Weibchen. Nach jedem gelungenen Laichakt repariert das Männchen das dabei zerzauste Nest und stopft heraus gefallene Eier wieder hinein. Oftmals liegen schließlich 400 bis 500 Eier im Nest. Das Männchen versorgt und bewacht das Gelege, indem es durch Fächeln mit den Brustflossen für Frischwasserzufuhr sorgt und Feinde vertreibt. Nach etwa einer Woche schlüpfen die Jungfische. Die schwimmfähigen Jungtiere verlassen bald das Nest. Sie ernähren sich von winzigen Planktontieren.

Entwicklungsgeschichtlich erweist sich der Seestichling als die ursprünglichste Gattung, gefolgt von dem Neunstachligen und dem Dreistachligen Stichling. Seestichlinge hängen ein einfaches Kugelnest immer in Pflanzen. Dieses hat noch keinen besonderen Eingang und bei der Balz fehlt der komplizierte Zick-Zack-Tanz. Beim Neunstachligen Stichling findet sich schon eine Weiterentwicklung des Fortpflanzungsverhaltens. Er baut zwar sein Nest noch frei schwebend in Pflanzen, häufig aber schon in Bodennähe. Eine bestimmte Eingangsöffnung ist bereits, wie beim Nest des Dreistachligen Stichlings, vorhanden. Er vollführt bei der Balz bereits den Zick-Zack-Tanz. Der Dreistachlige Stichling baut sein Nest nur noch auf dem Boden.
Auch in Hinsicht der Anzahl und Größe der Stacheln auf dem Rücken (Dorsalstacheln) ist eine Entwicklung unübersehbar. Während der Seestichling etwa 15 kleine Stacheln trägt, sind es bei dem Neunstachligen Stichling nur noch neun bis elf Stacheln und bei dem Dreistachligen Stichling, entsprechend dem Namen, nur noch drei. Dabei nimmt die Länge der Stacheln, mit der abnehmenden Anzahl zu. Die Stachellänge beträgt im Verhältnis zur Körperhöhe beim Seestichling etwa 11 bis 12%, bei den meisten Dreistachligen Stichlingen bereits mehr als 50%. Somit ist eine erhöhte Wehrhaftigkeit des Dreistachligen Stichlings gegenüber den anderen Arten gegeben, was wiederum eine Ursache für seine wesentlich stärkere Verbreitung sein könnte. Übrigens müsste der Neunstachlige Stichling eigentlich Zehnstachliger Stichling heißen, da häufiger Stichlinge mit zehn Stacheln auf dem Rücken vorkommen, als Stichlinge mit neun oder elf Stacheln.

Literatur:
Gebhardt/Ness (1990): Fische – BIV Verlagsgesellschaft mbH, München
Müller (1983): Fische Europas – Neumann Verlag, Leipzig
Paepke (1983): Die Stichlinge – Die Neue Brehm Bücherei – A. Ziemsen Verlag, Wittenberg Lutherstadt

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